Sonntag, 25. Januar 2015

REVIEW: FUCK (Chester Brown, Reprodukt)




Der Cartoonist Chester Brown hat sich über die Jahre hinweg einen Namen mit seinen oftmals sehr persönlichen und etwas ausgefalleneren Comics und Graphic Novels gemacht und wurde aufgrund seines Schaffens in die „Canadian Comic Book Creater Hall of Fame“ aufgenommen. Zu seinen Werken zählt neben seiner ersten graphischen Novelle „Ed the Happy Clown“ und seinen Memoiren über sein Leben als Besucher von Prostituierten „I Pay for It“ auch „I Never Liked You“. Letzteres wurde ursprünglich als Cartoonserie in Browns eigenem Comicmagazin „Yummy Fur“ veröffentlicht und trug dort den Namen „Fuck“, was auch der Titel der deutschen Übersetzung ist. In „Fuck“ beschreibt Brown eindringlich und aus seinen eigenen Augen einige Ereignisse seiner späten Jugend und seine Beziehungen zu seinen Klassenkameraden, seinen nächsten Verwandten und vor allem den Mädchen, mit denen er zu tun hat.



Was die eigentliche Handlung angeht, hält sich Brown bewusst zurück und gibt stattdessen relativ symbolische und vermutlich realitätsnahe Ereignisse seiner Jugend wieder. Diese bestehen so gut wie ausschließlich aus Interaktionen mit den anderen Figuren, welche zwar sehr subtil und indirekt, dafür aber sehr authentisch und tief charakterisiert werden. Chester selbst ist ein ruhiger, künstlerischer und verträumt wirkender junger Mann, der gerne zeichnet und Musik hört. Aufgrund seiner Sensibilität, seiner fast schon autistisch anmutenden Abwesenheit und der Tatsache, dass er nie flucht, wird er häufig von seinen männlichen Schulkameraden schikaniert. Jedoch ziehen seine musischen Talente und sein sanftes Wesen eine Vielzahl von Frauen an, welche sich für Chester interessieren. Zuerst wäre da Carrie, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, welches sich unsterblich in Chester verliebt hat, dann gibt es noch die stark untersetzte Sky und die dominante Connie, Carries ältere Schwester. Chesters eigene Familie besteht aus seiner offensichtlich neurotischen Mutter, welche der Autor in seinem späteren Leben als schizophren betitelt hat und seinem jüngeren Bruder Gordon.




Chesters Geschichte ist eine, welche er selbst kaum bis gar nicht zu begreifen scheint bzw. möchte. Zwischen Gleichgültigkeit, Selbstzweifeln, Trauer und Apathie hin- und herschwankend, nimmt er die Annäherungsversuche Carries, die Beleidigungen der anderen Jungs und die passiven Aggressionen seiner Mutter wahr, ohne jedoch großartig selbst zu agieren. Er bleibt so gut wie immer passiv und an manchen Stellen sogar erstaunlich gefühlskalt, wobei sporadisch angedeutet wird, dass er viel Zorn und Frust in sich trägt (zum Beispiel als er sich vorstellt, von einem LKW überfahren zu werden). Verzwickt werden die Geschehnisse spätestens, als er sich in Sky verliebt und Carrie ihn deswegen erbost anfällt. Die Sexualität, welche in „Fuck“ eine enorme Rolle spielt, tritt genauso versteckt auf, wie so ziemlich jede andere Emotion auch. Chester ringt aus Spaß mit den Mädchen, wird zum Abwaschen eingeladen und versteckt sich mit ihnen – alles wirkt auf den ersten Blick „harmlos“, ist aber hochgradig sexuell.



Die Geschichte in „Fuck“ ist eine traurige, verzweifelte. Vorort-Tristesse, ein subtiler, bedrückender und allgegenwärtiger Nihilismus und unterdrückte Wut und Niedergeschlagenheit sind die treibende Kraft hinter dem Graphic Novel und diese hat Brown perfekt eingefangen. Es mutet an, als würde alles auf einen Siedepunkt hinarbeiten, welcher jedoch nie erreicht wird. Dennoch ist die Beklemmung und die Trauer in jeder Hinsicht spürbar. Der Protagonist wirkt emotional verkrüppelt und unfähig, mit den Menschen um ihn herum wirklich auf einer tieferen Ebene zu kommunizieren. Gerade das macht „Fuck“ zu einem so glaubwürdigen und mitreißend-deprimierendem Erlebnis. Unterstreicht wird dieser Eindruck zusätzlich von dem simplistischen und pragmatischen Zeichenstil, welcher sich sehr gut im Einklang mit den durchdachten Nuancen der Handlung vermischt.



Fazit: Extrem intelligentes, trauriges und ehrliches Comicbuch, welches eine sehr persönliche Geschichte erzählt und zum Großteil zwischen den metaphorischen Zeilen funktioniert. Chester Browns „Fuck“ ist charakterstark und in höchstem Maße gelungen.

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