Samstag, 21. Juni 2014

REVIEW: GILLES DE RAIS (Georges Bataille, Merlin Verlag)




Die Geschichte des Gilles de Rais ist eine, welche man aus mehreren Gründen erzählen kann. Der „Blaubart“ war vieles: ein sadistischer, perverser Päderast, ein Mitstreiter Jeanne d'Arcs, ein Verwirrter, ein untalentierter Geisterbeschwörer und ein gescheiterter Aristokrat. Der Mythos wurde schon mehrfach aufgegriffen, zum Beispiel in dem grandiosen Buch „La Bas“ von Joris-Karl Huysmans oder in einigen Liedtexten der bekannten Dark Metal Band Cradle of Filth. „Gilles de Rais“ ist das Werk des französischen Skandalautors Georges Bataille, der auch für Bücher wie „Die Geschichte des Auges“ und „Ma Mére“ verantwortlich ist. In dem Buch beleuchtet der Franzose genauestens sämtliche Aspekte des Falles und des Charakters und bietet somit eine der interessantesten und allumfassendsten Abhandlungen, welche man in diesem Gebiet finden kann. 




Das literarische Kernstück des Buches stellt ganz klar die Analyse des Falles dar, welche Batailles persönlich angefertigt hat. In seiner gewohnten sprachlichen Raffinesse rollt der Autor den gesamten Komplex von Anfang an auf und schafft durch die chronologische Anordnung der Geschehnisse, welche er über weite Strecken beibehält, eine gewisse Storytelling-Atmosphäre und sorgt zugleich für ein sehr hohes Maß an Tiefgang und Detailgenauigkeit. Batailles Analyse zeigt deutlich, dass selbst in verhältnismäßig seriösen Quellen oft nur gewisse Themenbereiche des beachtlichen Werdegangs des Gilles de Rais angeschnitten und andere völlig vernachlässigt werden. Diesen Fehler vermeidet der Autor und schenkt allen Lebensabschnitten des Blaubarts die nötige Beachtung, um ein vollständiges Bild zu zeichnen. Sowohl sein Umfeld, als auch seine militärischen Erfolge und sein späteres Leben, welches er der Ausschweifung und Grausamkeit widmete, werden ausführlich vorgestellt und von mehreren Seiten beleuchtet und somit wird das rätselhafte Wesen Gilles de Rais' in voller Gänze vor dem Leser ausgebreitet.



Hierbei unterteilt Bataille die Geschichte in verschiedene Gesichtspunkte, in denen er stark deskriptiv und analytisch verfährt. So verwendet er beispielsweise viel Zeit darauf, das familiäre Umfeld und die frühe Jugend de Rais' zu untersuchen und diese in der Deutung seines Lebens als Erwachsener miteinzubeziehen. Ähnlich interessant ist die Art, in der Bataille auf die Gottesfurcht de Rais' und sein Interesse an Teufelsbeschwörungen und Okkultismus eingeht und somit die Widersprüchlichkeiten aufdeckt, welche ein elementarer Grundstein in seinem Charakter sind. Bataille geht sehr subjektiv und wertend vor (ohne die Fakten außer Acht zu lassen) und stellt Gilles de Rais primär als geistig verwirrten Kindskopf und weniger als libertinen Triebtäter und überzeugten Okkultisten dar. Bataille untersucht in seiner Argumentation vor allem den Einfluss, den sein Umfeld – allen voran Prelati – auf ihn ausübte und entmystifiziert so auf stichhaltige und nachweisbare Art die Legende, die sich um den Täter herum gebildet hat.

Obwohl sich Georges Batailles Studie fernab der eindimensionaler Verteufelung oder Lobpreisung bewegt, nehmen die Taten Gilles de Rais' einen sehr großen Teil des Buches ein. Die Beschreibungen der sexuellen Missbrauchsakte, Folterungen und Ermordungen, von (vornehmlich männlichen, aber auch weiblichen) Kindern sind sehr drastisch und für einige Leser sicherlich schwer zu verkraften. Auch wenn Bataille keine ausschweifenden, selbstzweckhaften Ausführungen präsentiert, machen gerade diese Abschnitte klar, wie außerordentlich grausam Gilles de Rais vorgegangen ist und dass seine Taten nicht ohne Grund in die Annalen der Geschichte eingegangen sind.

Georges Bataille


„Gilles de Rais“ ist jedoch auch als Kompendium anzusehen hat somit auch abseits von Batailles grandiosem Schriftstück viel Interessantes zu bieten. Vor allem die Chronographie des Geschehens, welche über 100 Seiten lang ist und ausführlicher nicht sein könnte, und die vielen historischen Quellen machen Batailles Werk zur ultimativen Abhandlung über Gilles de Rais. Weiterhin sind auch zahlreiche Dokumente zum weltlichen und geistlichen Prozess enthalten und diese Augenzeugenbeschreibungen stellen eine enorme Bereicherung dar, welche in diesem Ausmaß eher unüblich ist.

Fazit: „Gilles de Rais“ von Georges Batailles ist auf viele Arten faszinierend und gelungen. Zum einen sind die Schilderungen allesamt ausführlich und historisch korrekt, zum anderen schafft der französische Autor es, seine eigenen Überlegungen und Deutungen auf überzeugende und nachvollziehbare Art mit einfließen zu lassen. Weiterhin ist „Gilles de Rais“ angereichert mit zig Quellen und Dokumenten und insofern eine wahre Fundgrube für jene, welche so tief wie möglich in die Materie eintauchen wollen. „Gilles de Rais“ funktioniert als geschichtliche Abhandlung und unter literarischen Aspekten betrachtet und ist somit jedem angeraten, der sich ernsthaft mit Gilles de Rais beschäftigen möchte. Bataille Freunde sollten sowieso zuschlagen.

Die deutsche Übersetzung wurde vom Merlin Verlag in einer gebundenen Ausgabe mit Schutzumschlag herausgebracht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen