Freitag, 20. Juni 2014

REVIEW: DIE HURE H (Katrin de Vries und Anke Feuchtenberger, Reprodukt)



Die Hure H ist die Schöpfung von Katrin de Vries und Anke Feuchtenberger, welche schon in mehreren Comicbänden surreale Szenarien durchschritten hat (der dritte wurde schon auf Thanatische Manifestationen vorgestellt). In dem ersten Band, welcher schlicht und ergreifend „Die Hure H“ heißt, erlebt die namensgebende Hauptfigur drei obskure, abstrakte Geschichten über Emotionen, Liebe und Sehnsucht. Hierbei hat sie eine lesbische Liebschaft, besucht ein Fest in einer Art Disco und reist zum Haus der Geburten.



Die Geschichten um die Hure H zeichnen sich durch Symbolträchtigkeit und eine unkonventionelle, befremdliche Herangehensweise aus. Die Handlungen, Orte und Figuren sind dermaßen abstrakt, dass das Geschehen an sich kaum nachvollziehbar und die Motive der Charaktere nicht logisch begründbar sind. Doch gerade in dieser Entfremdung – von der de Vries und Feuchtenberger absichtlich Gebrauch machen – liegt der Reiz der „die Hure H“ Comics. Die kurzen Episoden sind voll von Metaphern, Trauer und verfremdeten, unterschwelligen Emotionen, welche im Zusammenspiel eine hypnotisches, drückendes Gefühl beim Leser erzeugen. Dieses rührt vor allem daher, dass sämtliche Aspekte des Comics die selben Wirkungsmechanismen haben. Nicht nur die Handlungen, auch die Zeichnungen sind minimalistisch und karg. Die Perspektiven sind eigensinnig und die Bilder werden durch harte, asymmetrische Linien bestimmt, welche oftmals weite Teile des jeweiligen Bildes leerstehen lassen. Diese Skizzenhaftigkeit sorgt für eine besondere Form von Abwechselung, da die selben Gegenstände und Charaktere oft in einem gänzlich anderen Licht erstrahlen, bzw. eine völlig andere Form haben. So sieht die Hure H in jeder der drei Geschichten zum Beispiel gänzlich anders aus. Die Texte wirken durch ihren repetitiven, direkten Ton ebenso „leer“ und minimalistisch, wie das Geschehen, das sie beschreiben. 



Das Setting und die Mittel, die Katrin de Vries und Anke Feuchtenberger hier präsentieren, sind keineswegs simpel, sondern offenbaren ein sehr feines Gespür für Atmosphäre und Unterschwelliges. So liegt eine Aura von unterbewussten Ängsten, Neurosen und die Suche nach Geborgenheit über allem, was in dem Comic passiert. Alle Begegnungen, die die Hure H mit anderen Leuten hat – vor allem die amourösen – enden in der selben lethargischen Einsamkeit. Eine konstante Rastlosigkeit und ein existenziell anmutendes Streben bestimmen die Handlungen. So läuft die Hure H über weite Strecken mit entblößter, klaffender Scheide herum, sucht nach einem Partner oder begibt sich weinend ins „Haus der Geburten“. Sicherlich kann man, gerade wegen den vagen Storylines, sehr viele Grundsatzfragen und Urängste in dem Comic erkennen, auch wenn diese schwer auszumachen bzw. festzulegen sind. Das Geschehen ist abstrus, doch niemals trivial. In dieser kafkaesken Welt ist das Gefühl, dass mehr vor sich geht, als offen gesagt wird, allgegenwärtig und gerade hierin zeigt sich, wie gut die Vision von de Vries und Feuchtenberger funktioniert.



Fazit: Schwieriger, autistisch anmutender und symbolischer Comic, der eine ungeheure Wirkung entfaltet, wenn man sich auf die Stilmittel einlässt. Die Charaktere und Handlungen bieten viel Projektionsfläche für eigene Interpretationen und Gedanken. Optisch schafft der Comic es, durch absonderlich wirkende Zeichnungen, interessante Perspektiven und starke schwarz-weiß Kontraste eine hypnotischen Stimmung zu erzeugen, die bis zur letzten Seite dicht bleibt. „Die Hure H“ ist keineswegs leicht zugänglich, dafür aber umso interessanter und tiefsinniger.

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