Dienstag, 24. Juni 2014

REVIEW: CONTAINER (Max Andersson, Reprodukt)



Der schwedische Comiczeichner Max Andersson gehört zu den bermerkenswertesten und langlebigsten Phänomenen, die die Underground Comicszene hervorgebracht hat. Seine stilistisch einzigartigen, absurden Comics, welche er seit über 20 Jahren zeichnet, haben weltweit Anerkennung erfahren, wurden schon in mehrere Sprachen übersetzt und haben zahlreiche Preise gewonnen. Die Gesamtausgabe „Container“ beinhaltet den Großteil von Anderssons Werk und bietet somit in seinen knapp 300 Seiten einen perfekten Überblick über das herausragende Werk des schwedischen Kultzeichners.




Der „Container“ setzt sich zusammen aus mehreren langen Geschichten und kurzen Strips, welche teilweise nur eine oder zwei Seiten lang sind. Den Anfang macht die Story „Pixy“, eine der Comics Geschichten des Sammelbands. Hier geht es um einen Mann, der in das Reich der Verstorbenen reist, um dort den Fötus umzubringen, den seine Frau abgetrieben hat, weil er seine (Fast-) Mutter unentwegt nachts anruft. In der Trilogie um den Weihnachtsmann geht es um eine sehr gruselige, bedrohliche Neuinterpretation der allseits bekannten, mythischen Figur, welche hier Kinder versklavt, heimsucht und erpresst. Erwähnenswert ist auch die Geschichte über den Tod, der seinen Job verliert und mit einer unglücklich verheirateten Frau, die von Klonen ihres Ex-Mannes verfolgt wird, durchzubrennen versucht, sowie die extrem makabere Geschichte über einen Jungen, der seine Eltern begräbt und Fleischbäume auf ihrem Grab pflanzt. 




Die Strips sind vor allem aufgrund ihrer verschrobenen, liebenswerten und durchgeknallten Charaktere allesamt extrem stark. Natürlich sind diese Figuren schon aufgrund des doch eher bedrohlichen Untertones nicht im Bereich „lustiger Sidekick“, wie man ihn zum Beispiel aus Disney Filmen kennt, anzusiedeln, sondern verkörpern eher „kranke“ Eigenschaften. So sind zum Beispiel der abgetriebene Fötus Pixy und sein Vater Alka Seltzer sozusagen die perfekte Mischung aus verschrobener Cartoonfigur, wie sie Kinder der 90er noch aus dem ersten und einzig wahren Nickelodeon kennen und klassischem Antiheld, wie er aus einem Film Noir oder David Lynch Film stammen könnte. Auch der Tod und der liebenswerte Car-Boy (und die anderen Auto-Mensch Hybriden) sind aussagekräftige, einfallsreiche und optisch ansprechende Figuren, welche schon alleine durch ihre Ausgefallenheit das Interesse des Lesers ab der ersten Sekunde zu wecken vermögen. Weiterhin sind vor allem Pistolen Johnny, ein lebendes Gewehr, das alles und jeden tötet, mit dem es in Kontakt kommt, die Vakuumneger (sic!), die kinderversklavenden Weihnachtsmänner und allen voran die menschenfressenden Fleischbäume als besonders positiv hervorzuheben. Der Autor ist hierbei sehr pfiffig und behandelt die Figuren einerseits als die herrlich kaputten Schöpfungen, die sie sind, aber ist dennoch bedacht darauf, sie warm und menschlich agieren zu lassen, was für die nötige Identifikation sorgt.



Anderssons unkonventioneller Erzählstil unterstreicht diesen hohen Wiedererkennungswert enorm. Die Figuren durchschreiten Szenarien und Welten, in denen total verrückte und verwirrende Geschehnisse allgegenwärtig sind und sich von der einen auf die andere Sekunde wahnwitzige Plottwists auftun. Dies macht die Geschichten ungemein rasant und spannend, denn die Geschehnisse entbehren von vornherein jedweder Logik. Stellenweise sind die Geschichten extrem lustig, makaber, kryptisch, metaphorisch oder geradezu verblüffend brutal und verzweifelt. Zum Beispiel ist die Geschichte über den Car-Boy und den Fleischbäumen, welche aus dem Grab seiner Eltern heraus wachsen, sehr düster und fast schon im klassischen Horror angesiedelt. Bei der langen und extrem gelungenen Story über den Tod und seine Geliebte, spielt eher ein grotesker, überspitzter Humor die rhetorische Hauptrolle, wohingegen bei „Pixy“ offenbar sehr viel Wert auf eine ausgearbeitete Hintergrundgeschichte und eine facettenreiche Symbolik mit gesellschaftskritischen Untertönen gelegt wurde (hierzu jedoch später mehr). Doch nicht nur die langen Stories, sondern auch die kurzen Strips sind sehr gelungen und ideenreich. Gerade die Kürze vermag oftmals das Hauptaugenmerk auf die jeweilige Pointe, bzw. die Idee hinter dem Strip zu lenken und diese somit auf präzise und quasi konzentrierte Art in Szene zu setzen. 



Anderssons Steckenpferd ist natürlich sein Zeichenstil. Im „Container“ passen Optik und Handlung perfekt zusammen, doch gerade der erste Punkt macht seine Kunst zu etwas wirklich Außergewöhnlichem. Seine Figuren und Welten sind expressionistisch, krumm, morbide, kantig und die Bilder sind überladen und voll von klitzekleinen Details, die es zu entdecken gilt. Ein dichtes, undurchdringliches Schwarz regiert die meisten Panels und alles ist schief und asymmetrisch. Hier und da könnte man sich leicht an die allseits bekannte Tim Burton Ästhetik erinnert fühlen (welche ja auch nicht gerade un-expressionistisch ist), jedoch liegt mehr Schwere und ein omnipräsenter Hauch von dreckigem Realismus in den jeweiligen Bildern verborgen. Auch wenn seine Zeichnungen cartoonhaftig und hochgradig ästhetisch sind, sind sie keineswegs auf eine „positive“, sondern auf eine bittere, durch und durch kafkaeske Art anziehend. Doch genau hierin begründet sich die Symbiose aus Fusion und Inhalt. Man weiß bei Andersson nie, ob man das Gezeigte lustig, erschreckend oder schön finden soll und gerade dieses Spannungsverhältnis kommt durch seinen Stil perfekt zum Ausdruck.



Dieser befremdliche Ton rührt auch daher, dass bei Anderssons Werk extrem viel unter der rhetorischen Oberfläche brodelt. Der gebürtige Schwede verarbeitet, wie es so viele seiner Landsleute ebenso tun, sehr persönliche und negative Themen in seinen Comics: Einsamkeit, Anonymität in der Großstadt, Liebeskummer, dysfunktionale Familienverhältnisse, Sucht, Angst vor der zunehmenden Industrialisierung bzw. Technisierung und Korruption – alles wird auf teils symbolische, teils sehr direkte Art angesprochen. Alle Hauptcharaktere sind an sich rationale und warmherzige Figuren, welche in einer bedrohlichen, abstrakten und grausamen Welt nach Halt und Geborgenheit suchen (was auf eine gewisse Art an die absolut grandiose Cartoonserie „Rockos Modernes Leben“ erinnert). Die Gesellschaftskritik ist allgegenwärtig und ultimativ erbarmungs- und schonungslos. Die propagandistischen Sprüche auf den Milchverpackungen, die Darstellung der Unterdrückung und Abschaffung des Individuums, die Willkür der staatlichen Obrigkeit und die Konsumgeilheit einer freudlosen Gesellschaft, all dies wird auf teilweise wahrlich geniale Art und Weise thematisiert. So werden zum Beispiel Angestellte einer Fleischtheke gezwungen, eigene Körperteile zu verkaufen, Häuser werden exekutiert und die Einwohner auf die Straße gesetzt und Sonderkommandos richten grundlos Kinder und Passanten hin. Anderssons Gesellschaftssicht ist eine durch und durch nihilistische und kranke. Der Schwede begeht jedoch Gott sei Dank nicht den Fehler und biedert sich an irgendeine politische Meinung an, sondern bleibt bis zum Ende pessimistisch.



Weiterhin hat der Künstler höchstpersönlich einige Worte zu seinem Werk verfasst, welche im Anhang des Bandes zu lesen sind. Einige Skizzen, farbige Coverzeichnungen und Portraits sind ebenso enthalten und stellen einen netten Bonus dar.

Fazit: Max Anderssons „Container“ ist einfach nur grandios. Die Zeichnungen sind eine reine Wonne, die Geschichten sind sprühen vor Einfallsreichtum und das gesamte Flair ist atemberaubend. Dieser Sammelband ist ein Pflichtkauf für jeden, der mit Underground Comics, expressionistischem Zeichenstil und radikaler Kunst etwas anfangen kann.

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