Donnerstag, 12. September 2013

REVIEW: SINGAPORE SLING (Nikos Nikolaidis, 1990)







Ein verletzter Mann kriecht aus seinem Wagen und sieht vor sich ein großes, abgelegenes Haus. Zeitgleich vergraben zwei Frauen, Mutter und Tochter, im Garten dieses Haus die Leiche ihres alten “Chauffeurs“. Nichtsahnend schleppt sich der verwundete Mann im Trenchcoat an die Tür des Hauses, klingelt und wird von der Tochter hineingelassen. Er ahnt nicht, dass er somit ein Teil der kranken Psycho- und Rollenspiele wird, die Mutter und Tochter durchgehend miteinander spielen. Die beiden verrückten Frauen bringen sich selbst in den Krimi ein, aus dem der Mann, den sie “Singapore Sling“ taufen, zu kommen scheint und hierbei  sind sie gewillt, bis ans Äußerste zu gehen.



“Singapore Sling“ ist so eigensinnig, wie er eigenartig ist. Dieser spleenige Beitrag aus Griechenland, welcher übrigens in schwarz/weiß gedreht wurde, ist schon seit längerem ein Geheimtipp unter Freunden des schwer zugängigen Films und das nicht ohne Grund. “Singapore Sling“ ist sicherlich alles andere als leicht verdaulich was einige sehr anstößige Szenen und die wirre Handlung angeht, offenbart aber Qualitäten, welche man in dieser Form aus den wenigsten Filmen kennt. Eins kann dem Film sicherlich keinesfalls absprechen: Unverwechselbarkeit.






Der Film fängt mit dem Ausheben des Grabes für den alten “Chauffeur“ an. Hierbei zeigt die Kamera lasziv den Ausschnitt der Tochter, welche daraufhin in die Kamera zu uns spricht und sagt, dass sie den Mann gemeinsam umgebracht hätten. Während Singapore Sling im Auto ohnmächtig wird und mit verrauchter Stimme von Laura erzählt, der Frau die er sucht, spielen Mutter und Tochter ein Spiel, in dem die Tochter sich als neue Bedienstete vorstellt und der Mutter unter den rockt kriecht und sie oral befriedigt, daraufhin folgt eine wilden Sexszene zwischen den beiden. Nachdem  Singapore Sling von der Tochter ins Haus getragen wurde, wird er sofort das Opfer von sexuellen Belästigungen der durchtriebenen Frauen. Doch die beiden Frauen haben nicht nur Sex im Spiel, sie haben auch gefallen an der Geschichte mit Laura gefunden, fügen die einzelnen Puzzlestücke dieser Geschichte selbst zusammen und stellen sie nach. Die Tochter mimt die verflossene Laura, wohingegen die Mutter eine Art Inquisitoren Rolle übernimmt und ihn und seine “Laura“ foltert. Je weiter diese selbstgesponnene Kriminalgeschichte voranschreitet, desto mehr misstrauen sich die beiden Damen gegenseitig und versuchen sich gegeneinander auszuspielen.






“Singapore Sling“ ist die gesamte Laufzeit über auf geradezu groteske Weise lustig und dennoch verstörend. Dies hat mehrere Gründe, ganz oben steht jedoch die Charakterzeichnung der beiden Frauen. In jeder Sekunde, in der sie im Bild sind, trieft ihnen der absolute Wahnsinn aus allen Poren. Ihre Mimik und Gestik wirkt psychotisch, von einer Sekunde auf die andere schlüpfen sie in fremde Rollen, sind sich schlagartig spinnefeind und befriedigen sich wenig später gegenseitig sexuell. Die Tochter ist durchgehend aufgedreht, offenbar neurotisch veranlagt und legt durchgehend sexualisiertes Verhalten an den Tag. Ständig entblößt sie ihren Intimbereich, packt sich an die Brüste oder spielt sich im Schritt herum. Oftmals zieht sie sich auf den Dachboden zurück, wo sie heimlich raucht und masturbiert. Die Mutter hingegen tritt eher dominant auf, spricht oft Französisch und lässt sich vornehmlich von ihrer Tochter sexuell befriedigen. Die sexuellen Abenteuer der beiden Frauen sind immer präsent und es vergehen fast keine zehn Minuten ohne Anzüglichkeiten.  Hierbei ist es verwunderlich zu sehen, wie eingeschworen und doch verfeindet die Mutter und ihre Tochter sind. Blitzartig etablieren sie neue Rollen füreinander und somit auch ihre Einstellung zueinander. Im Mittelpunkt ihrer Verwirrspiele steht jedoch immer Singapore Sling. Dieser wirkt anfangs wie eine Humphrey Bogart Kopie und erfüllt so ziemlich alle Klischees des klassischen Film Noir Antihelden. Er ist ausgebrannt, betrunken, am Boden zerstört und auf der Suche nach seiner Herzensdame in einen Kriminalfall verwickelt worden. Als “Haustier“ der beiden wahnsinnigen Frauen verfällt er über weite Strecken in eine absolute Apathie, aus der er erst im fulminanten Ende wieder erwacht.







Durch das unberechenbare Zusammenspiel der Charaktere entsteht das Stilmittel, welches den Film dominiert: Entfremdung. Mehrfach wir die vierte Wand durchbrochen und der Zuschauer von den Frauen darüber informiert, was in seiner Abwesenheit passiert ist. Weiterhin schlägt die Handlung enorm viele Haken und konfrontiert den Zuschauer hier und da mit Situationen, die keinen Sinn ergeben. Aufgrund dieser entfremdenden Elemente, kann man “Singapore Sling“ auch keineswegs als komödiantischen Film sehen, da er schlicht und ergreifend nicht lustig, sondern krank und befremdlich ist. Eine humoristische Note ist zwar durchweg spürbar, trägt aber auf gelungene Art zu der Unbehaglichkeit, die der Film verbreitet, bei. Gerade was seine Wirkung angeht ist “Singapore Sling“ wirklich stark und weiß genau, was er will. Regisseur Nikos Nikolaidis hat altbekannte Stilmittel so eigentümlich zusammengepanscht, dass ein absolutes Unikat dabei herausgekommen ist. Eines von diesen Stilmitteln ist die schiere Unberechenbarkeit und Undurchsichtigkeit des Geschehens. Man weiß nie in welcher Stimmung die beiden Frauen gerade sind und was sie mit ihren Handlungen bezwecken wollen. Statt einer Handlung baut sich eher eine konstante Bedrohung auf, denn auch wenn man nie weiß, wie viel Realität in den Spielen der beiden Frauen liegt, ist es doch klar, dass es so oder so für die Beteiligten kein gutes Ende nehmen kann. Mutter, Tochter und Gefangener sind gefangen innerhalb eines psychotischen, unverständlichen Beziehungsdreieck, in dem die Gewalt immer mehr auszuarten und die Taten immer weniger Realitätsbezug zu haben scheinen.  





Dass “Singapore Sling“ keine seichte Arthouse-Komödie, sondern eigentlich verdammt schwere Kost ist, zeigen auch die Sex- und Gewaltszenen, die der Film zu bieten hat. Singapore Sling muss einiges erleiden und bekommt zum Beispiel mittels einer Apparatur Stromstöße durch den Kopf gejagt. In einer Szene schmeißen die beiden Frauen mit frischen Eingeweiden herum, bei der Ankunft Singapore Slings steckt die Tochter ihm eine geladene Waffe in die Hose und spielt damit an ihm herum. Vor dem Ende des Films, in dem die Gewalt ihren Höhepunkt findet, liegt der Schwerpunkt allerdings ganz klar auf Sex. Hierbei geht der Film sehr freizügig vor und zeigt und entblößte Brüste und weibliche Schamzonen im Übermaß, sowie inzestuösen Lesbensex und Sado Maso Spiele mit gegenseitigem Auspeitschen und Knebeln. In einer sehr expliziten Szene ejakuliert die Mutter dem angeketteten Singapore Sling in den Mund, vorher wurde er von der Tochter bestiegen, welche ihm während des bizarren Selbstbefriedigungsaktes ins Gesicht gekotzt hat. Weiterhin gibt es eine Szene, in der der verstorbene Vater in Bandagen eingehüllt die Tochter auf dem Dachboden missbraucht, sowie eine sehr explizite Masturbation mit einer Kiwi, bei der wirklich sehr direkt die Vagina der Tochter gezeigt wird. Zusammen mit den entfremdenden Elementen wie den Erzählungen der Charaktere, dem eigensinnigen Geist des Filmes und den skurrilen Charakteren, wirken die Darstellungen von Sex und Gewalt wie das I-Tüpfelchen auf einem feurigen Gulasch aus unbekannten Zutaten. Und das ist “Singapore Sling“ auch.





Fazit: Absurder, hoch interessanter Film, der um einiges intensiver und härter ist, als er dem Zuschauer am Anfang weismachen will. Sehr explizit, zu hundert Prozent durchdacht und unberechenbar, ist “Singapore Sling“ ein absoluter Leckerbissen für Fans des surrealen, vergessenen Kinos. Ein verborgener Schatz für all jene, die keine Angst haben, sich so weit wie möglich vom klassischen Erzählkino zu entfernen und sich in die Hände von zwei Wahnsinnigen zu begeben. Der Mut wird fürstlich entlohnt und zwar mit einem Film, den man so schnell nicht vergessen wird.



Zur DVD: Bildstörung präsentiert den Film in einer hochwertigen Doppel DVD bzw. BluRay Edition mit umfangreichem Bonusmaterial (unter anderem einer sehr gelungenen Dokumentation) in einem wunderschönen Schuber, welches natürlich frei vom hässlichen FSK Kennzeichen ist, wenn man die Papierhülle abnimmt. Für Nischenfreunde gibt es meines Erachtens keinen Weg vorbei an dieser tollen Edition!



Singapore Sling bei BILDSTÖRUNG 

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