Freitag, 20. September 2013

REVIEW: HEROIN KIDS (Bildband, 2011)



“Heroin Kids“ ist ein Kunstprojekt von Corinna Engel und Christian Kaiser, welches junge Frauen und Mädchen (auf das Alter wird nirgends eingegangen) in ihrer Drogensucht, insbesondere der Heroinsucht zeigen soll. Die Nähe zur Pornographie wird bewusst gesucht, herzzerreißende Hintergrundinformationen und der gutbürgerliche Fingerzeig sind nicht zu finden und auf eine gesellschaftskompatibele Ethik wird, laut Eigenangabe, keinerlei Wert gelegt. Da verwundert es nicht, dass das Projekt seit seiner Geburtsstunde unter heftiger Kritik stand (der Vorwurf der Ausbeutung gehörte noch zu den harmloseren Beschuldigungen) und sogar ein Strafverfahren nach sich zog, welches jedoch fallengelassen wurde. Viel Hype, viel Kontroverse. Letztere hat man in Deutschland jedoch schnell. Auch nach Sichtung des TUMBLR Blogs und der Webseite ist “Heroin Kids“ ein geheimnisvolles Projekt, von dem man nicht weiß, was man davon zu halten hat. Um das Projekt wirklich zu verstehen, muss man den Bildband erstehen, welcher hier besprochen wird.



Trotz der Kontroverse findet sich im Vorwort des Bildbandes keine Rechtfertigung oder Erklärung. Lediglich auf die Probleme, mit denen das Künstlerpärchen konfrontiert wurde, die Leute, die das Projekt unterstützt haben und die Tatsache, dass viele Mädchen nicht namentlich erwähnt werden, wird eingegangen. Danach gehört der Platz ausschließlich den “Heroin Kids“ höchstpersönlich. Die Bilder zeigen die jungen, oftmals hübschen Mädchen beim Konsumieren, in Phasen der Bewusstlosigkeit, verwahrlost oder in offen sexuellen Posen. Nahaufnahmen von rosa Disney Tangas, in denen Urin-, Kot- und Blutflecken hängen. Nahaufnahmen von Geschlechtsteilen und nackten Brüsten, oftmals wurden Wörter wie “Slut“ mit Lippenstift auf die nackten Körper geschrieben. Die Mädchen und ihre Situation werden nicht umschrieben, sondern erklären sich von alleine. Hier und da stehen Sprüche und kleine Randinformationen  bei den Bildern, die Bilder selbst stehen aber absolut im Vordergrund.




Drogen und ihre Wirkung werden in diesem Buch so dargestellt, wie sie wirklich sind, mit all ihren Höhen und Tiefen. Obwohl die Darstellungen von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verfall und Chaos ganz klar überwiegen, liegt auch ein Gefühl von Freiheit und Euphorie in einigen Fotos. Auch wenn für Nicht-Konsumenten der Konsum von harten Drogen prinzipiell immer widerwärtig aussehen mag, so wird doch klar, warum die Mädchen konsumieren und dass es für sie der Himmel auf Erden sein muss. Das Junkie-Dasein wird also ungeschönt und un-verteufelt zugleich inszeniert. Jedoch besticht mehr die Ästhetik als der dokumentarische Aspekt (welcher sicherlich auch gegeben ist). Hyperrealismus war auch sicherlich nicht der Grundgedanke der Macher, wobei “Heroin Kids“ aber definitiv in der dreckigen Realität verwurzelt ist.



Pornographische Qualitäten sind hierbei nicht als zufälliges Nebenprodukt, sondern als gewolltes Stilmittel zu betrachten. Auch wenn sie sich in einem Zustand der kompletten Selbstzerstörung finden, sind die Mädchen dennoch hübsch (ein Fakt, welcher auch von Dr. Kötz im Nachwort erwähnt wird). Ist es die Ästhetik der Selbstverachtung und des Rausches, welche die besondere Schönheit dieser Bilder hervorruft? Sind die Mädchen trotz oder gerade wegen ihrer Situation attraktiv? Sind die Auswirkungen von harten Drogen Modeaccessoires, wie es für manche die Zigarette ist? Dies sind einige Fragen, welche man sich womöglich stellen könnte, wenn man einige der Bilder sieht. Die jungen Frauen setzen sich lasziv in Szene, spreizen ihre Beine für die Kamera, räkeln sich splitterfasernackt im Rausch oder präsentieren ihre Brüste.
Je weiter man blättert, desto mehr wird einem klar, dass sich nicht bloß zu der Darstellung von Drogen etwas Pornographie gesellt, sondern dass Drogenkonsum auf eine pornographische Art  gezeigt werden soll. Diese Darstellungen driften teilweise fast schon ins fetischistische ab. Gerade die Rolle, die Körperflüssigkeiten in den offen sexualisierten Bildern spielen, ist eines der visuellen Steckenpferde des Fotobandes. Geschminkte Puppengesichter schwimmen in Flüssen aus Erbrochenem, die Models spreizen ihre Hinterbacken und halten ihre von Durchfall verschmierten After in die Kamera oder haben Unterhosen im Gesicht hängen, in denen Urin, Kot und (Menstruations-)Blut hängt. Inwiefern man hier die Koprophilie als optische Metonymie (zugehörige dritte Sache), der Ästhetik willen oder als Fetischporno Attribut eingebaut wurden, kann nicht gesagt werden. Doch in der Drastik der Bilder wird eh jeder eine einzelne Erklärung suchen.



Die Gedichte, Randinformationen und co. werten den Bildband sehr auf. In altbewährter Brainstorming bzw. Cut-Up Tradition bekommt man kleine Texte bzw. Gedichte über “Fickfohlen“ und “klare Mädchenaugen“ zu lesen. Solche Pläne hat man zwar schon sehr oft scheitern sehen, hier trägt es aber positiv zur Gesamtwirkung bei. Selbiges gilt für die DVD, welche als Bonus im Buch enthalten ist. Diese kann man quasi als “Making of“ sehen, welches die Shootings beschreibt. Dennoch war es die richtige Entscheidung, die Bilder auf Papier zu drucken und nicht als Film herauszubringen. 



Die beiden Macher spielen mit ihren Bildern gekonnt mit mehreren Motiven, vor allem jedoch dem Lolita-esquen Unschuld vs. Verdorbenheit Thema. Vollgesaute Disney Schlüpfer, Zahnspangen und der Bezug auf Freier, die junges Fleisch dem alten vorziehen. Allgegenwärtig ist auch die zuvor beschriebene Vermischung von pornographisiertem Zerfall und die altbekannte Vermischung aus Hässlichkeit und Schönheit, welche man in den Bildern mit den Körperausscheidungen und z.B. den Ketten aus Spritzen, die einige der Mädchen um den Hals tragen, ausmachen kann.



Dass “Heroin Kids“ eine enorme Aussagekraft hat, ist unbestritten. Eine der schwersten Überlegungen ist jedoch, wer sich diese Bilder anschauen könnte und vor allem warum. Worin liegt genau der Reiz? Der Drogenfreund könnte darin eine gelungene Dokumentation des Drogen-Lifestyles sehen. Der Drogengegner könnte darin das genaue Gegenteil sehen. Der Ästhet kann sich an der Schönheit berauschen, der Verfechter des Degenerativen an der Hässlichkeit. Sicherlich könnte auch jemand, mit sehr dunklen, obsessiven Absichten an dem Buch Gefallen finden. Es soll nicht verschwiegen werden, dass der fetischistische bzw. pornographische Aspekt vom Betrachter sehr weit in den Vordergrund gerückt werden kann. Ein Maß an Voyeurismus, welches die meisten Menschen wohl als ungesund einstufen könnten, spielt jedoch in allen Betrachtungsweisen eine Rolle. Wie man “Heroin Kids“ wahrnimmt, hängt sehr stark von einem selbst und der eigenen Weltsicht ab. Doch war moralische Glitschigkeit schon von Anfang an eines der Eckpfeilerr dieses Projekts. Eine allgemeine Antwort kann nicht gegeben werden, soll sie auch nicht. Die subjektive Meinung, die einzig relevante in diesem Fall, lautet wie folgt:




“Heroin Kids“ ist ein unbeschreiblich schönes Monument des Zerfalls, der Krankheit und der Perversion, welches gekonnt Pornographie, Drogen und Ästhetik zu einem verbindet. In den Bildern spiegeln sich unbeschreibliches Elend, dunkele Triebe und sehnsüchtiges Verlangen, aus dem Projekt spricht ein Maß an Realismus und Weltenflucht, welches für die meisten Menschen ungreifbar sein wird. Egal ob man es aus einer humanistischen, einer anti-humanistischen oder rein subjektiven Sichtweise betrachtet, niemand wird diesem Projekt seine Relevanz, seine Ehrlichkeit und seine Überzeugungskraft absprechen können. Eine allgemeine Empfehlung kann man bei dieser Form von Kunst nie aussprechen, jemand, der sich dafür interessiert, wird wissen warum. Dieser wird den Superlativ dessen finden, was er erwartet hat. Wie er dies wahrnimmt, hängt von seinem Moralempfinden und seiner Lebensphilosophie ab. Dieser Reviewer wurde jedoch vollends überzeugt.

Index Verlag

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