Dienstag, 17. September 2013

REVIEW: HENRY - PORTRAIT OF A SERIAL KILLER (John McNaughton, 1986)








Henry und Otis sind zwei Proleten, die sich eine gemeinsame Wohnung teilen. Wenn sie nicht am Saufen oder am Fernschauen sind, halten sich die beiden Ex-Knackis mit schlecht bezahlten Jobs über Wasser. Eines Tages muss Otis erfahren, dass Henry ein gestörter Serienmörder ist, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hat und nachts durch die Straßen zieht um Leute zu ermorden. Von der Gewalt angetan, schließt sich Otis seinem psychopathischen Mitbewohner an und die beiden ziehen mordend umher. Doch als Otis‘ Schwester Becky Gefühle für Henry zu entwickeln scheint, bahnt sich Streit an.



“Henry – Portrait of a Serial Killer“ von Regisseur John McNaughton basiert lose auf der Geschichte des Serienmörders Henry Lee Lucas, welcher im Amerika der 1960er sein Unwesen trieb. Obwohl eine Texttafel am Anfang besagt, dass man die Ereignisse im Film nicht als genaue Schilderung verstehen soll (was auch richtig ist), sind so viele Parallelen zu dem echten Kriminalfall vorhanden, dass man durchaus von einer Interpretation mit einigen künstlerischen Freiheiten sprechen kann. Doch nicht nur Freunde des True Crime Genres zählen “Henry“ seit seinem Erscheinen im Jahre 1986 zu ihren Lieblingen. Der betont düstere Film funktioniert auch perfekt als Charakterstudie und düsterer Thriller und hat definitiv mehr zu bieten, als den Bezug auf eine der grausamsten Mordserien Amerikas. 






Die Handlung von “Henry“ startet langsam. Nach einigen Aufnahmen von getöteten Frauen, lernen wir Henry kennen, der von einem Parkplatz aus einer Frau in seinem Auto folgt. Als er sieht, dass sie zu Hause von ihrem Mann empfangen wird, dreht er jedoch um und nimmt eine Anhalterin mit. Zeitgleich kommt Becky in Chicago an und wird dort von Otis, ihrem Bruder und Henrys Mitbewohner, vom Flughafen abgeholt. Becky hat eine zerrüttete Beziehung hinter sich und versucht nun ein neues Leben in Chicago anzufangen. Nachdem Henry unter einem Vorwand in das Haus der Frau eingedrungen ist, der er anfänglich nachgefahren ist, lernt er zu Hause Becky kennen, welche von seinem charmanten Auftreten direkt angetan ist. Während Henry und Otis in Henrys Wagen mit zwei leichten Mädchen zu Gange sind, bricht Henry der einen das Genick und befördert auch die andere ins Jenseits. Otis findet Gefallen an der Idee des Mordens und so startet die Mordserie. Wenig später töten sie gemeinsam einen schmierigen An- und Verkaufshändler und stehlen eine Videokamera aus seinem Inventar. Nun ziehen die beiden Randexistenzen wütend durchs Land und halten ihre grausamen Morde auf Video fest. Doch dieses zweifelhafte Glück hält nicht lange, denn auf Dauer entpuppt sich Henry als kränker als gedacht…



“Henry“ ist ein finsterer und abgründiger Film, der jedoch nicht den Fehler begeht, durch kurzlebige  Effektgewitter oder forcierte Pseudohärte den Zuschauer in seinen Bann ziehen zu wollen. McNaughtons Film steht mit beiden Beinen in der Realität und baut eine durchgehend unangenehme, krankhafte Atmosphäre auf, ohne zu viel zu zeigen. Der Regisseur versteht es, durch bloße Andeutungen und unterschwellige Hinweise dem Zuschauer zu offenbaren, wie gestört und böse die Handlung des Films und die Personen, die sie tragen wirklich sind. Natürlich gibt es in “Henry“ auch einige sehr graphische Gewaltdarstellungen, jedoch  lebt “Henry“ primär von der kaputten Welt, welche die drei tragenden Charaktere kreieren. 





Henry, Becky und Otis sind allesamt antisoziale, verlorene Menschen, welche am Rande der Gesellschaft existieren. Dies ist wohl auch der springende Punkt und die Würze in John McNaughtons Klassiker: das Gefühl von absoluter Hoffnungslosigkeit. Alle drei Personen scheinen in ihrer Kindheit starke Traumata erlitten zu haben und befinden sich auch in ihrem Erwachsenenleben in ungünstigen Situationen.

Henry ist nicht nur, wie man am Filmtitel unschwer erkennen kann, der Hauptcharakter des Films, sondern auch die am stärksten differenzierte und ambivalenteste Figur, die die meisten Rätsel aufgibt. Henry tritt als höflicher, stellenweise sogar sehr charismatischer Gentleman auf und ist auf den ersten Blick keineswegs cholerisch, antisozial oder gewalttätig. Doch das Brodeln unter der ruhigen Fassade ist allgegenwärtig und wird von Michael Rooker auf absolut erhabene Weise nach außen getragen. Als er in einer hochgradig intensiven Szene mit Becky über seine Vergangenheit redet, spricht pure Verachtung aus dem sonst so zurückhaltenden Henry. Seine Mutter war eine promiskuöse Alkoholikerin, welche ihren Sohn schlug und ihn dazu zwang, zuzusehen, wie sie sich mit fremden Männern vergnügte. Oft musste er sogar Frauenkleider anziehen und sich dem Spott seiner Mutter und ihrer Affären aussetzen. Offen gesteht er Becky den Mord an seiner Mutter, jedoch behauptet er zuerst, sie mit einem Messer erstochen zu haben, kurz darauf sagt er jedoch, er habe es mit einer Schusswaffe getan. Inwiefern er damit von den Ermordungen der jungen Frauen spricht, die er offenbar stellvertretend für seine Mutter tötet, ist fraglich. Obwohl angedeutet wird, dass Henry Analphabet ist, ist er alles andere als dumm. So weiß er genau, wie man beim Töten vorgehen muss um nicht erwischt zu werden und wie die Behörden ermitteln. Auch scheint sein Hass auf Frauen auch so etwas wie einen philosophischen Unterbau zu haben, was die Szene beweist, in der er über seine Weltsicht redet (“It’s either us or them“ ). Ein zutiefst gestörter, hasserfüllter Charakter, der jedoch in seiner Manie und Wut sehr viel Zurückhaltung und Kalkül beweist.

Otis neben dem eher sympathischen Henry aus, wie das letzte Häufchen Elend. Ständig saufend, verwahrlost und offen dumm, erfüllt er das Klischee des klassischen Hillbillys. Er mordet nicht aus Drang, sondern aus einer kindlichen Freude heraus, was ihn noch unsympathischer und widerwärtiger macht, als es sein Erscheinungsbild und sein “normales“ Verhalten ohnehin schon tun. Er hegt sogar inzestuöse Gefühle gegenüber seiner eigenen Schwester und hat homosexuelle Neigungen. Jedoch wirkt er eher wie ein entarteter Zurückgebliebener und nicht wie ein gestörter Serienkiller. Nichtsdestotrotz ist Otis eine starke Figur, welche im Zusammenspiel mit den anderen Hauptcharakteren sehr aufblüht und den Film vorantreibt (und das nicht nur als reiner McGuffin).

Die Dritte im Bunde ist Otis‘ Schwester Becky. Ähnlich wie Henry stammt sie aus problematischen Verhältnissen und wurde über lange Zeit von ihrem Vater sexuell missbraucht. Sie ist nicht Täter, sondern Opfer, durch und durch. In einer kalten Welt voller Gewalt ist sie das einzig empfindsame Wesen, das zweifelhaft nach Anerkennung ringt. Gerade in Bezug auf das Frauenbild, welches in “Henry“ vorherrscht, ist sie ein sehr wichtiger Charakter und quasi der einzige Sympathieträger.






Was die Charaktere verbindet ist ihr Scheitern, ihr Frust und ihre innere Wut. Dadurch, dass McNaughton seinen Figuren keine Perspektive gibt, übertragt sich das Gefühl von Wut und Hoffnungslosigkeit auf den Zuschauer. Die Welt in “Henry“ ist eine, in der Menschenleben nichts wert sind und die Existenz als solche freudlos ist. Es ist wohl diese filmische Grundhaltung, die die gezeigte Gewalt so roh und doch beiläufig erscheinen lässt. Henry und Otis bringen Menschen um, weil sie Menschen umbringen wollen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Die Opfer haben keinerlei Bedeutung, die Taten keinerlei Sinn und Zweck. Es sind Aufschreie, die in einer trostlosen, kaltherzigen  Welt verhallen. Die Szenen sind hart, grausam und sadistisch, doch sind es stets die Welt und die Vergangenheit der Charaktere, die für das höchste Maß an Betroffenheit beim Zuschauer sorgen. Gerade aus diesem Grund wäre es grob falsch “Henry“ auf seine Gewaltdarstellungen zu reduzieren. 





Fazit: “Henry – Portrait of a Serial Killer“ genießt seinen Ruf völlig zurecht. Der Film ist von Anfang an trist, persönlich, deprimierend und hart. Die Charaktere werden auf geschickte Art herausgearbeitet und ergänzen sich sehr gut. Der Score und die Darsteller sind fantastisch und die sehr derben Gewaltszenen reihen sich perfekt in das menschenverachtende Gesamtbild ein, welches “Henry“ auch nach diesen vielen Jahren noch zu einem der besten Serienmörderfilme macht.



Zur DVD: Bildstörung veröffentlicht Henry auf DVD und erstmals auch auf Blu Ray inklusive einer sehr spannenden Bonus DVD, welche neben Making Ofs, Interviews und co auch auf die Zensurgeschichte in England eingeht. Für Fans die perfekte Edition dieses Films, selbst Besitzer der alten LP Auflage können sich Gedanken über einen Neukauf machen.



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